Statement zu "Les chemins de la création européenne"
Organisiert von der Fondation JEAN JAURES, cité de la musique, Paris
© 2000
Wenn ich auf die Liste der eingeladenen Kulturminister blicke, fällt mir auf, daß die Kulturminister dreier großer europäischer Länder eingeladen sind und Portugal als kleines Land dazu genommen wurde.
Ist das nicht auch ein Abbild für die vorherrschende Bedeutung und vielleicht sogar kulturelle Überheblichkeit der großen Länder im europäischen Kulturleben? Oder ist es ein Zeichen dafür, daß die großen europäischen Länder sich die kulturelle Definitionsmacht in Europa verschaffen wollen? Was soll ich als Österreicherin sagen wir haben zu unserer Schande gar keinen Kulturminister mehr, also wie soll dann Österreich, und in Folge ihre Künstler, in einer europäischen Zusammenarbeit vertreten sein?
Als österreichische Künstlerin bin ich eine doppelt getroffene: es gibt kein Kunst- und kein Frauenministerium mehr. Wohl ein Zeichen dafür, wie wenig der politischen Klasse diese beiden Bereiche etwas bedeuten. In einer Zeit, die Kunst und Künstler verleugnet, sie als nutzlos, als Kuriosität wahrnimmt, macht der Künstler das, was er muß, und spricht mit seinen Mitteln von dem, was nichts nützt.
Nur: das Jammern kann unser Ziel nicht sein, sondern die Unbeirrbarkeit des Tuns Auch kann das oft so viel gepriesene Amerika mein persönliches Vorbild nicht sein, denn amerikanische Künstler, die nicht dem Mainstream und den wirtschaftlichen Instant-Erfolgszwängen verfallen, "flüchten" gewissermaßen nach Europa, um überhaupt noch frei arbeiten und denken zu können. Wir Europäer empfangen sie, zu recht, mit offenen Armen, vergessen dabei aber immer öfter auf uns selbst. Der Europäer jammert vor sich hin, glaubt nicht an sich selbst, sucht nach einer einheitlichen europäischen Kultur, hat Angst vor der Moderne, anstatt die Autonomie von Kunst und Kultur gewähren und gelten zu lassen, was vielleicht ein europäisches Potential sein könnte, nämlich, die vielgestaltige, zerstreute, verschiedenartige Kultur, also eine Polyphonie von verschiedenen Identitäten. Die europäischen Länder sollten deshalb im kulturellen Bereich näher zusammenrücken, um sich stärker untereinander austauschen zu können, sodaß es selbstverständlich wird, daß z.B. ein rumänischer Künstler in England präsent ist und ein schwedischer in Italien. Geredet wird viel darüber, aber in der Realität wird noch immer national gehandelt. Einzelnen gelingt das länderübergreifende Präsent-sein schon, aber im großen und ganzen ist dem nicht so. Außer diesen wenigen, die dann europaweit, überall zu hören und sehen sind, bleibt die Situation inzüchtlerisch. Es fehlt meist schon die kleinste Basis, nämlich die Neugier, Künstler aus anderen Ländern einzuladen, um ihr Denken kennenzulernen. Es fehlt der wirkliche Austausch und in jedem Land bleibt Kunst und Kultur mehr oder weniger regional stecken.
Wie mir scheint, arbeitet jedes Land vor sich hin, veranstaltet seine Veranstaltungen, und präsentiert seine bevorzugten Künstler. Von europäischer Zusammenarbeit ist wenig vorhanden. Zumindest fällt es mir in meinem Konzertbetrieb nicht auf, daß es einen großartigen Austausch gäbe, außer natürlich persönlich geschaffenen Kontakten.
Abgesehen davon, daß wir österreichische Komponisten im sogenannten "Musikland Österreich", in dem das Land haupsächlich von der Anhimmelung musikalischer und sonstiger kultureller Schatten lebt, alleine, ohne Unterstützung von Mentoren oder offiziellen Institutionen (wir haben z.b. keine Villa Massimo oder Villa Medici) vor uns hinarbeiten, fällt mir auf, daß wir österreichischen Komponisten in Ländern wie z.B. Holland, Frankreich oder England nicht aufgeführt werden, weil man unsere Arbeit wahrscheinlich gar nicht kennt. Im Gegensatz dazu laden die großen österreichischen Musik-Festivals wie z.B. Wien Modern, der steirische herbst oder die Salzburger Festspiele in der Sparte Neue Musik sehr wohl regelmäßig internationale Komponisten ein. Wir hingegen werden gerade noch im deutschsprachigen Raum wahrgenommen. Dazu kommt noch, daß wir von Aufträgen aus Österreich alleine nicht leben könnten, dafür ist das Land zu klein. Ist das die Arroganz der großen Länder gegenüber den kleinen? Fehlt hier die Neugier aus Selbstliebe oder wird eine Vorherrschaft auch im kulturellen Bereich gesucht?
Nur als Nebenbemerkung möchte ich aus eigener Erfahrung sagen, daß freischaffende Komponisten in Österreich nicht einmal ein Teil der Künstler-Sozialversicherung sind. Man hat uns schlicht und einfach im Allgemeinen Gesetzbuch vergessen. Soviel zur Stellung eines Komponisten in der österreichischen Gesellschaft. Vielleicht ist das aber auch ein Länder übergreifendes Phänomen, denn diese Art von Musik läßt
sich nicht vor den kulturpolitischen Karren spannen und sie verflüchtigt sich einfach zu schnell. Man hat sozusagen "nichts" in der Hand, sie taugt schlecht zur Repräsentation und Dekoration.
Wenn ich nun schon bei Österreich selbst angelangt bin, dann muß ich sagen, daß man meist Grund zu Mißtrauen haben konnte, wenn in Österreich vaterländische Töne laut wurden. Man ging und geht diesem Land besser aus dem Weg, wenn das österreichische Gemüt sich an die Brust schlägt, um ins Feld zu ziehen und wenn das Selbstwertgefühl der Österreicher sich als weltgeschichtlicher Schwellkörper dem Rest der Welt entgegenstellt. Es scheint zur nationalen Konstante geworden, daß in österreichischer Begeisterung ein Zuwenig an Großzügigkeit für die übrige Welt und in den österreichischen Tränen ein zuviel an rachsüchtigem Selbstmitleid erhalten ist. Darin gibt es dann keinen Platz mehr für Kunst und Kultur, wenn sie keine "kulturelle Identität" stiftet, wie es immer öfter heißt.
Dennoch ist gerade der aufkeimende Nationalismus ein allgemein europäisches Phänomen und kein spezifisch österreichisches. Daher sollte man erst recht in der Kunst auf kulturellen Austausch viel stärker bedacht sein, um andere, verschiedene Denkungsarten kennen zu lernen.
Ich fühle mich als Künstler noch nicht bedroht, auf einer schwarzen Liste zu landen, da ich keine die Massen einlullende Musik schreibe, aber darum geht es auch nicht. Es ist schlimm genug, beinahe täglich hören zu müssen, daß man für die Gesellschaft als Komponist Neuer Musik nutzlos ist und quasi keinen Sinn mehr für das "Schöne" hat. Ich persönlich kann mit dem Begriff "schön" nichts anfangen, da ich glaube, daß man den Schönheitsbegriff nicht allgemeingültig definieren kann. Viel gravierender ist, daß gegen Kunst gehetzt wird und von staatlicher Seite gefragt wird, welche Kunst dem Staat überhaupt zuträglich sei und daher ihre Daseinsberechtigung an sich in Frage gestellt wird.
Slogans wie "Kleiner Mann zahlt große Oper" für eine erst kürzlich abgehaltene Volksbefragung für oder gegen ein neues Opernhaus in Linz, spalten die Gesellschaft und degradieren die Kunst zu einer unnützen, nur sinnlos geld-verschwendenden Liebhaberei.
Es sind Folgen einer aktuellen kulturpolitischen Doktrin - nicht nur in Österreich -, die die Massen zu manipulieren und ihnen zu gefallen sucht. Dieses kulturpolitische Handeln ist die Preisgabe jedes progressiven Denkens, der sichere Rückschritt und fördert sogar die Kriminalisierung allen Denkens, welches sich nicht nach rückwärts wendet...
Die Frage lautet, ob sich in Zukunft die schöpferische Peresönlichkeit noch frei entfalten wird können, ob die notwendige Entwicklung der Kunst ungestört fortschreiten wird können, oder ob alles Geistige von einer skrupellosen Agitation und "fit und fun"-Gesellschaft zertrampelt werden soll.
Wir können mit unserer Musik der brutalen Eindeutigkeit des gesunden Volksempfinden wohl nicht entsprechen, da sie den Hörer auch fordert hinzuhören, Wir entsprechen wohl auch nicht der Forderung einer neuen "Romantik", die die Kunst als Mittel zur Flucht aus der Realität sehen möchte. Die Frage in einer Zeit der Event-Kultur ist aber: ist eine Musik besser, wenn sie von 10.000 oder sogar 100.000 Menschen gehört wird und diese Musik den Menschen die von ihr immer wieder geforderte Funktion einer "alles verbindenden, machtvoll schöpferischen Schicksalsgemeinschaft" vorspiegelt?
Der Druck des Sofort-Erfolg-haben-Müssens von Außen ist daher so groß, daß das Suchen nach künstlerischen Mitteln für einen selbst im Heute, in dem es einen schier unglaublichen Reichtum an Möglichkeiten gibt, schlicht unmöglich gemacht wird. Leider passen sich diesem Gefallen-müssen meiner Meinung nach zu viele Künstler schon in vorauseilendem Gehorsam an und verfallen begeistert dem retro-Trend, der das Klischee des schon Bekannten und "Schönen" bestätigt.
Für mich persönlich kann aber der Sinn von Musik nicht darin liegen, Menschen mit Verheißungen einer alle Grenzen überbrückenden Gemeinsamkeit einzulullen und gefügig zu machen. Ich kann die Wirklichkeit nicht besser machen als sie ist. Ich möchte bewußt denkende Menschen, Selberdenker, als Zuhörer haben, die in der Musik und in der Kunst überhaupt die Widerspiegelung des suchenden Menschen sehen, der entschlossen ist, das Gewohnte zu begreifen, das Herrschende zu überwinden und ins Unbekannte vorzustoßen und daher seiner Umgebung gegenüber vielleicht offener und toleranter ist. Ich weiß, daß man als Einzel-Künstler wenig verändern kann, aber Kunst kann Erstarrtes, Übersehenes und Vergessenes aufzeigen und den desolaten Zustand von Gesellschaft und Politik sichtbar machen.
Ein Hinweis noch: Wenn ständig gesagt wird, daß diese Art von Musik nur wenige hören wollen, so möchten wohl die meisten, die das äußern oder es auch still vor sich hin denken, nur ihr Vorurteil bestätigt sehen, um sich nicht weiter darauf einlassen zu müssen. Wenn man z.B. die vollen Häuser bei Wien Modern sieht, dann muß man erkennen, daß auch diese Musik ihren Platz und ihr Publikum erreichen kann, wenn man das Publikum über Jahre animiert und auch in die Schulen geht (wie beim steirischen herbst geschehen), um zu informieren und die Neugier dem Unbekannten und Neuem gegenüber schürt.
Auch unsere Neue Musik muß die Chance bekommen, sich so vollständig wie nur möglich dem heutigen Bewußtsein und den heutigen Bestrebungen einzugliedern. Wir wünschen uns den wachen und aufgeschlossenen Hörer. Zuhören ist nichts Passives. Hören realisiert sich im Hirn. Und ich weiß nicht - da in unseren Konsum- und Industriestaaten fernsehen und die Berieselung im Supermarkt das Hirn verkleben - ob es das schlechteste wäre, wenn auch andere Informationen das Hirn wieder aktivieren könnten. Nur dafür müßten verschiedene Institutionen mehr Risiko eingehen wollen und die Verschiedenartigkeit der Kunst nach allen Kräften fördern. Das aber kann der Künstler wenig steuern. Möge die europäische Gemeinschaft versuchen, gemeinsam, genau dieser Verklebung entgegen zu treten und auch versuchen das Kennenlernen und den Austausch unter den europäischen Künstlern zu fördern und zu aktivieren.
(Olga Neuwirth, November 2000)
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Organisiert von der Fondation JEAN JAURES, cité de la musique, Paris
© 2000
Wenn ich auf die Liste der eingeladenen Kulturminister blicke, fällt mir auf, daß die Kulturminister dreier großer europäischer Länder eingeladen sind und Portugal als kleines Land dazu genommen wurde.
Ist das nicht auch ein Abbild für die vorherrschende Bedeutung und vielleicht sogar kulturelle Überheblichkeit der großen Länder im europäischen Kulturleben? Oder ist es ein Zeichen dafür, daß die großen europäischen Länder sich die kulturelle Definitionsmacht in Europa verschaffen wollen? Was soll ich als Österreicherin sagen wir haben zu unserer Schande gar keinen Kulturminister mehr, also wie soll dann Österreich, und in Folge ihre Künstler, in einer europäischen Zusammenarbeit vertreten sein?
Als österreichische Künstlerin bin ich eine doppelt getroffene: es gibt kein Kunst- und kein Frauenministerium mehr. Wohl ein Zeichen dafür, wie wenig der politischen Klasse diese beiden Bereiche etwas bedeuten. In einer Zeit, die Kunst und Künstler verleugnet, sie als nutzlos, als Kuriosität wahrnimmt, macht der Künstler das, was er muß, und spricht mit seinen Mitteln von dem, was nichts nützt.
Nur: das Jammern kann unser Ziel nicht sein, sondern die Unbeirrbarkeit des Tuns Auch kann das oft so viel gepriesene Amerika mein persönliches Vorbild nicht sein, denn amerikanische Künstler, die nicht dem Mainstream und den wirtschaftlichen Instant-Erfolgszwängen verfallen, "flüchten" gewissermaßen nach Europa, um überhaupt noch frei arbeiten und denken zu können. Wir Europäer empfangen sie, zu recht, mit offenen Armen, vergessen dabei aber immer öfter auf uns selbst. Der Europäer jammert vor sich hin, glaubt nicht an sich selbst, sucht nach einer einheitlichen europäischen Kultur, hat Angst vor der Moderne, anstatt die Autonomie von Kunst und Kultur gewähren und gelten zu lassen, was vielleicht ein europäisches Potential sein könnte, nämlich, die vielgestaltige, zerstreute, verschiedenartige Kultur, also eine Polyphonie von verschiedenen Identitäten. Die europäischen Länder sollten deshalb im kulturellen Bereich näher zusammenrücken, um sich stärker untereinander austauschen zu können, sodaß es selbstverständlich wird, daß z.B. ein rumänischer Künstler in England präsent ist und ein schwedischer in Italien. Geredet wird viel darüber, aber in der Realität wird noch immer national gehandelt. Einzelnen gelingt das länderübergreifende Präsent-sein schon, aber im großen und ganzen ist dem nicht so. Außer diesen wenigen, die dann europaweit, überall zu hören und sehen sind, bleibt die Situation inzüchtlerisch. Es fehlt meist schon die kleinste Basis, nämlich die Neugier, Künstler aus anderen Ländern einzuladen, um ihr Denken kennenzulernen. Es fehlt der wirkliche Austausch und in jedem Land bleibt Kunst und Kultur mehr oder weniger regional stecken.
Wie mir scheint, arbeitet jedes Land vor sich hin, veranstaltet seine Veranstaltungen, und präsentiert seine bevorzugten Künstler. Von europäischer Zusammenarbeit ist wenig vorhanden. Zumindest fällt es mir in meinem Konzertbetrieb nicht auf, daß es einen großartigen Austausch gäbe, außer natürlich persönlich geschaffenen Kontakten.
Abgesehen davon, daß wir österreichische Komponisten im sogenannten "Musikland Österreich", in dem das Land haupsächlich von der Anhimmelung musikalischer und sonstiger kultureller Schatten lebt, alleine, ohne Unterstützung von Mentoren oder offiziellen Institutionen (wir haben z.b. keine Villa Massimo oder Villa Medici) vor uns hinarbeiten, fällt mir auf, daß wir österreichischen Komponisten in Ländern wie z.B. Holland, Frankreich oder England nicht aufgeführt werden, weil man unsere Arbeit wahrscheinlich gar nicht kennt. Im Gegensatz dazu laden die großen österreichischen Musik-Festivals wie z.B. Wien Modern, der steirische herbst oder die Salzburger Festspiele in der Sparte Neue Musik sehr wohl regelmäßig internationale Komponisten ein. Wir hingegen werden gerade noch im deutschsprachigen Raum wahrgenommen. Dazu kommt noch, daß wir von Aufträgen aus Österreich alleine nicht leben könnten, dafür ist das Land zu klein. Ist das die Arroganz der großen Länder gegenüber den kleinen? Fehlt hier die Neugier aus Selbstliebe oder wird eine Vorherrschaft auch im kulturellen Bereich gesucht?
Nur als Nebenbemerkung möchte ich aus eigener Erfahrung sagen, daß freischaffende Komponisten in Österreich nicht einmal ein Teil der Künstler-Sozialversicherung sind. Man hat uns schlicht und einfach im Allgemeinen Gesetzbuch vergessen. Soviel zur Stellung eines Komponisten in der österreichischen Gesellschaft. Vielleicht ist das aber auch ein Länder übergreifendes Phänomen, denn diese Art von Musik läßt
sich nicht vor den kulturpolitischen Karren spannen und sie verflüchtigt sich einfach zu schnell. Man hat sozusagen "nichts" in der Hand, sie taugt schlecht zur Repräsentation und Dekoration.
Wenn ich nun schon bei Österreich selbst angelangt bin, dann muß ich sagen, daß man meist Grund zu Mißtrauen haben konnte, wenn in Österreich vaterländische Töne laut wurden. Man ging und geht diesem Land besser aus dem Weg, wenn das österreichische Gemüt sich an die Brust schlägt, um ins Feld zu ziehen und wenn das Selbstwertgefühl der Österreicher sich als weltgeschichtlicher Schwellkörper dem Rest der Welt entgegenstellt. Es scheint zur nationalen Konstante geworden, daß in österreichischer Begeisterung ein Zuwenig an Großzügigkeit für die übrige Welt und in den österreichischen Tränen ein zuviel an rachsüchtigem Selbstmitleid erhalten ist. Darin gibt es dann keinen Platz mehr für Kunst und Kultur, wenn sie keine "kulturelle Identität" stiftet, wie es immer öfter heißt.
Dennoch ist gerade der aufkeimende Nationalismus ein allgemein europäisches Phänomen und kein spezifisch österreichisches. Daher sollte man erst recht in der Kunst auf kulturellen Austausch viel stärker bedacht sein, um andere, verschiedene Denkungsarten kennen zu lernen.
Ich fühle mich als Künstler noch nicht bedroht, auf einer schwarzen Liste zu landen, da ich keine die Massen einlullende Musik schreibe, aber darum geht es auch nicht. Es ist schlimm genug, beinahe täglich hören zu müssen, daß man für die Gesellschaft als Komponist Neuer Musik nutzlos ist und quasi keinen Sinn mehr für das "Schöne" hat. Ich persönlich kann mit dem Begriff "schön" nichts anfangen, da ich glaube, daß man den Schönheitsbegriff nicht allgemeingültig definieren kann. Viel gravierender ist, daß gegen Kunst gehetzt wird und von staatlicher Seite gefragt wird, welche Kunst dem Staat überhaupt zuträglich sei und daher ihre Daseinsberechtigung an sich in Frage gestellt wird.
Slogans wie "Kleiner Mann zahlt große Oper" für eine erst kürzlich abgehaltene Volksbefragung für oder gegen ein neues Opernhaus in Linz, spalten die Gesellschaft und degradieren die Kunst zu einer unnützen, nur sinnlos geld-verschwendenden Liebhaberei.
Es sind Folgen einer aktuellen kulturpolitischen Doktrin - nicht nur in Österreich -, die die Massen zu manipulieren und ihnen zu gefallen sucht. Dieses kulturpolitische Handeln ist die Preisgabe jedes progressiven Denkens, der sichere Rückschritt und fördert sogar die Kriminalisierung allen Denkens, welches sich nicht nach rückwärts wendet...
Die Frage lautet, ob sich in Zukunft die schöpferische Peresönlichkeit noch frei entfalten wird können, ob die notwendige Entwicklung der Kunst ungestört fortschreiten wird können, oder ob alles Geistige von einer skrupellosen Agitation und "fit und fun"-Gesellschaft zertrampelt werden soll.
Wir können mit unserer Musik der brutalen Eindeutigkeit des gesunden Volksempfinden wohl nicht entsprechen, da sie den Hörer auch fordert hinzuhören, Wir entsprechen wohl auch nicht der Forderung einer neuen "Romantik", die die Kunst als Mittel zur Flucht aus der Realität sehen möchte. Die Frage in einer Zeit der Event-Kultur ist aber: ist eine Musik besser, wenn sie von 10.000 oder sogar 100.000 Menschen gehört wird und diese Musik den Menschen die von ihr immer wieder geforderte Funktion einer "alles verbindenden, machtvoll schöpferischen Schicksalsgemeinschaft" vorspiegelt?
Der Druck des Sofort-Erfolg-haben-Müssens von Außen ist daher so groß, daß das Suchen nach künstlerischen Mitteln für einen selbst im Heute, in dem es einen schier unglaublichen Reichtum an Möglichkeiten gibt, schlicht unmöglich gemacht wird. Leider passen sich diesem Gefallen-müssen meiner Meinung nach zu viele Künstler schon in vorauseilendem Gehorsam an und verfallen begeistert dem retro-Trend, der das Klischee des schon Bekannten und "Schönen" bestätigt.
Für mich persönlich kann aber der Sinn von Musik nicht darin liegen, Menschen mit Verheißungen einer alle Grenzen überbrückenden Gemeinsamkeit einzulullen und gefügig zu machen. Ich kann die Wirklichkeit nicht besser machen als sie ist. Ich möchte bewußt denkende Menschen, Selberdenker, als Zuhörer haben, die in der Musik und in der Kunst überhaupt die Widerspiegelung des suchenden Menschen sehen, der entschlossen ist, das Gewohnte zu begreifen, das Herrschende zu überwinden und ins Unbekannte vorzustoßen und daher seiner Umgebung gegenüber vielleicht offener und toleranter ist. Ich weiß, daß man als Einzel-Künstler wenig verändern kann, aber Kunst kann Erstarrtes, Übersehenes und Vergessenes aufzeigen und den desolaten Zustand von Gesellschaft und Politik sichtbar machen.
Ein Hinweis noch: Wenn ständig gesagt wird, daß diese Art von Musik nur wenige hören wollen, so möchten wohl die meisten, die das äußern oder es auch still vor sich hin denken, nur ihr Vorurteil bestätigt sehen, um sich nicht weiter darauf einlassen zu müssen. Wenn man z.B. die vollen Häuser bei Wien Modern sieht, dann muß man erkennen, daß auch diese Musik ihren Platz und ihr Publikum erreichen kann, wenn man das Publikum über Jahre animiert und auch in die Schulen geht (wie beim steirischen herbst geschehen), um zu informieren und die Neugier dem Unbekannten und Neuem gegenüber schürt.
Auch unsere Neue Musik muß die Chance bekommen, sich so vollständig wie nur möglich dem heutigen Bewußtsein und den heutigen Bestrebungen einzugliedern. Wir wünschen uns den wachen und aufgeschlossenen Hörer. Zuhören ist nichts Passives. Hören realisiert sich im Hirn. Und ich weiß nicht - da in unseren Konsum- und Industriestaaten fernsehen und die Berieselung im Supermarkt das Hirn verkleben - ob es das schlechteste wäre, wenn auch andere Informationen das Hirn wieder aktivieren könnten. Nur dafür müßten verschiedene Institutionen mehr Risiko eingehen wollen und die Verschiedenartigkeit der Kunst nach allen Kräften fördern. Das aber kann der Künstler wenig steuern. Möge die europäische Gemeinschaft versuchen, gemeinsam, genau dieser Verklebung entgegen zu treten und auch versuchen das Kennenlernen und den Austausch unter den europäischen Künstlern zu fördern und zu aktivieren.
(Olga Neuwirth, November 2000)
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