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Vom Aufrauhen der Klänge. Notizen zu Olga Neuwirths Kammermusik

Olga Neuwirths Musik steckt voller Verschiebungen, Brüche, Deformationen und assoziativer Bezüge. Ausgangspunkt ihrer Arbeiten sind Klang-, Bild- und Sprachmaterialien verschiedenster Herkunft und Beschaffenheit, die sie verbindet, ohne deren jeweilige Eigenschaften einander anzugleichen. Meist geprägt durch unvorhersehbare Formverläufe, in denen sich die Musik wie in einem Prozess organischen Wucherns verästelt, erweist sich das Komponierte als Abbild dieser heterogenen Ausgangsmaterialien. Zu ihnen gehört auch der spezifische Umgang mit den Musikinstrumenten, deren Klangfarben die Komponistin meist mittels ungewöhnlicher Stimmungen und Präparationen manipuliert, um auf dieser Grundlage vielfältig differenzierte Klangsituationen entwickeln zu können. Es genügt nicht, dieses Aufrauhen von Klängen als Verweigerungshaltung gegenüber dem konventionellen Schönklang anzusehen; vielmehr artikuliert sich darin auch ein Bedürfnis, das im Verborgenen ruhende Potenzial der Klangerzeuger auszuschöpfen, es für das Komponieren nutzbar zu machen und so auf der Basis ungewöhnlicher Arten der Klangproduktion Ausdrucksmittel für die Formulierung zeitgemäßer musikalischer Sprachgestalten zu gewinnen. Obgleich die Komponistin ihr Vokabular immer wieder auf Generierungsprozesse zurückführt, die am Klang- und Resonanzverhalten der benutzten Instrumente ansetzen, lässt sich das Verfahren an den Kammermusikbesetzungen, insbesondere an den für Streicher komponierten Werken, am deutlichsten nachvollziehen.

Für den Titel ihres Streichquartetts Akroate Hadal (1995) wählte Olga Neuwirth - wie zuvor in der Ensemblekomposition Vampyrotheone (1994/95) - den Bezug zu Vilém Flussers und Louis Becs Beschreibung eines fiktiven, krakenähnlichen Tiefseewesens mit dem Namen "Vampyrotheutis Infernalis". Nicht allein diese Titelgebung verdankt sich der Anregung durch die kleine Abhandlung der beiden Kulturphilosophen; darüber hinaus wird das bezeichnete Fabeltier auch zur Chiffre für die Musik selbst und ihre Klanggestalten. Denn wie den Mitgliedern der Gattung "Vampyrotheutis" eine skelettlose Beweglichkeit und die Vorliebe für hemmungsloses Verschlingen zukommt, erinnert das Streichquartett an einen sich windenden Organismus, der die von ihm hervorgebrachte Musik wieder in sich einzusaugen und förmlich zu verschlingen scheint. Am Anfang des Werkes dominiert der Klang von Streichersaiten, die mit Papierhalte- und Büroklammern präpariert sind; an die Stelle konventioneller Klangproduktion tritt ein umfassendes Repertoire ungewöhnlicher Klangerzeugungsarten und Spieltechniken, das die Komponistin zur Schaffung präzise durchgehörter Geräuschklänge einsetzt, so dass der Instrumentalklang von innen heraus aufgebrochen wird. Zu diesen rauhen Oberflächen des Klangmaterials gesellen sich plötzliche Richtungswechsel der Musik, in denen sich die ungewöhnlichen formalen Aspekte von Olga Neuwirths Kompositionen - die abrupten Schnitte, Überlagerungen und raschen Kontrastierungen sowie die Heterogenität der verschiedenen Klangmischungen - zu erkennen geben.

Ganz ähnliche Klangeindrücke prägen auch Olga Neuwirths zweites Streichquartett settori (1999): Wie in Akroate Hadal wird der Hörer von einem wirbelnden Klangfluss mitgerissen und von einer Überraschung in die nächste gezogen. Doch nicht nur in ihrer Wirkung ähneln sich beide Werke: Der italienische Titel settori (Ausschnitte) ist durchaus wörtlich zu verstehen, da das Material des jüngeren Stücks dem älteren Quartett entstammt. Die Komponistin macht es hier erneut zum Gegenstand ihrer kompositorischen Auseinandersetzung, indem sie verschiedene Aspekte konsequent weiterdenkt und dabei an all jene charakteristischen Elemente anknüpft, die bereits den musikalischen Verlauf von Akroate Hadal bestimmen. Doch nur an ganz wenigen Stellen - so im ersten Takt und am Ende der settori - wird das Ausgangsmaterial unverändert übernommen. Solche raren Augenblicke fungieren dann als interne Verweise auf den Ursprung einer Musik, deren heimlicher Bezugspunkt dem Hörer ansonsten verborgen bleibt. Denn normalerweise sind die Klänge von settori bereits konzis formulierte Weiterentwicklungen, in denen die zurückliegenden Klangmomente unter neuen Blickwinkeln betrachtet werden. Sie bilden so einen musikalischen Kommentar zum älteren Werk, eine neue Lesart, in der die Streichertexturen auf andere Weise entfaltet sind.

Wie stark Olga Neuwirth bereits vor Anfertigung der Niederschrift eines Werkes die Charakteristika von Instrumenten verändert und damit auf eine tiefgreifende Modifikation tradierter Klangeigenschaften abzielt, zeigt der Blick auf die Komposition …?risonanze?… für Viola d’amore (1995/96): Nicht nur die sieben Spielsaiten werden hier untereinander verstimmt; auch die Stimmung der Resonanzsaiten wird gegenüber den Spielsaiten um ein Mikrointervall von weniger als einem Viertelton nach oben versetzt, wodurch sich die charakteristische Resonanzfähigkeit des Instruments verändert. Durch Aktionen wie das Klopfen auf den Steg oder langsam fortschreitende Glissandi werden die Resonanzen beim Vortrag - quasi als Hintergrundklänge - an ungewohnter Stelle angeregt und so unerwartet gegenüber ihrer herkömmlichen Positionierung im Klangraum verschoben. Solche kompositorischen Mittel, aber auch Geräuschaktionen wie das Zupfen mit dem Fingernagel oder das Spiel mit viel Bogendruck tragen dazu bei, die ursprüngliche Aura der Viola d’amore zu demontieren und gleichzeitig neu zu definieren.

Auch in ...ad auras... - In memoriam H. für zwei Violinen und Holztrommel ad libitum (1999) spielt die Klangverfremdung eine wesentliche Rolle. Da sie hier durch minimales Verstimmen beider Streicher gegeneinander und weniger durch Einbeziehung von Geräuschspektren erreicht wird, ist für diese Komposition vor allem das Prinzip gewollter Unschärfe kennzeichnend. Besonders deutlich wird dies, wenn sich in beiden Stimmen ähnliche melodische Figuren auf unterschiedlichen Rhythmen überlappen, wodurch sich mikrotonale Differenzen ergeben. Durch geschickte Verschachtelung und Überblendung von Klangereignissen wird so die einfache Linie zur Fläche aufgespalten; und selbst da, wo der Ablauf der Musik rhythmisch streng geregelt ist - bei allen Unisoni in Viertelwerten oder in den über komplementären Rhythmen organisierten Passagen, in denen das mitunter akkordische Spiel der Violinen zusätzlich von einer Holztrommel begleitet werden kann - resultiert hieraus eine im Mikrointervallbereich lokalisierte Harmonik.

Olga Neuwirths Vorliebe für die Veränderung von Klängen macht auch vor dem eher schwierig manipulierbaren Klavier nicht Halt. Als gleichberechtigten Duopartner stellt sie es in Quasare/Pulsare für Violine und Klavier (1996) dem leichter beeinflussbaren und in seiner Stimmung bereits modifizierten Streichinstrument gegenüber. Indem sie ausgewählte Saiten mit Materialien wie Silikonbällchen und Schaumstoff präpariert, schafft die Komponistin gezielt Verstimmungen, mit denen sie in den Klavierklang eingreift; durch verschiedene Aktionen des Pianisten werden zudem das Instrumenteninnere und andere Bauteile in die Musik einbezogen. Ausgehend vom Klang einer Klaviersaite, die durch einen e-Bow angeregt wird - einer Art Tonabnehmer, der durch elektromagnetische Einwirkung ein Feedback auf einer Metallsaite erzeugen kann, dessen Klangqualität an einen Sinuston erinnert -, ergibt sich der formale Aufbau des Stückes aus der Abfolge wellenförmig ausgestalteter Klangraumbewegungen von unterschiedlicher Dichte und Intensität, die am Ende wieder in die artifizielle Klangqualität des Anfangstones zusammengefaltet werden.

In incidendo/fluido für Klavier und Zuspiel-CD (2000) geht Olga Neuwirth bei der Handhabung des Klaviers noch einen Schritt weiter. Die eigentümlichen Klangwirkungen des Stückes resultieren zunächst einmal aus der überwiegenden Beschränkung auf einen begrenzten Tonraum im Bereich der mittleren Register. Er wird vom Pianisten in eng geführten, ständig zwischen vielgliedriger Bewegung und Statik pendelnden chromatischen Passagen erschlossen, die ein extremes Ineinandergreifen beider Hände erfordern. Doch wird die Chromatik zum Teil unterlaufen, da einzelne Klaviersaiten wiederum so präpariert sind, dass sich beim Anschlag subtile mikrotonale Veränderungen der entsprechenden Tonhöhen ergeben, die tonräumliche Enge also in den Klavierklang hinein erweitert wird. Durch Einbeziehung eines im Instrument platzierten CD-Players, über den die obertonlosen, elektronisch generierten Klänge eines Ondes Martenot eingespielt werden, wird das Klavier aber auch zum Resonator nicht von ihm selbst erzeugter Klangereignisse. Sie treten mit den vom Pianisten vorgetragenen Klangbändern und den im Klavierinnern erzeugten Aktionen in eine sich ständig verändernde Wechselbeziehung, wobei die Resonanzen beider Ebenen auf unterschiedliche Weise einander überschneiden, ergänzen und kommentieren.



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