Franz Schreker
Grenzgänger / Grenzklänge
Musik im Aufbruch
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien
Lloyd Moore im Gespräch mit Olga Neuwirth
LM: Wie sind Sie zum ersten Mal auf die Musik von Franz Schreker gekommen?
ON: Wie ich etwa 18 Jahre alt war, unterhielt ich mich mit meinem Onkel Gösta Neuwirth, der mir viel über Schreker und seine Musik erzählte. Ich bin dann zur Universal Edition gegangen, habe mir Partituren von Schreker ausgeliehen und mir die dazugehörigen Aufnahmen gekauft.
LM: Was war das Besondere an Schrekers Musik, das Sie interessierte?
ON: Darf ich das ganz ehrlich sagen? Der erste, vielleicht oberflächliche, Eindruck seiner Musik: der süffige, sinnliche Klang... und die Montagetechnik.
LM: Inwiefern glauben Sie – in Anbetracht des pluralistischen Klimas der Gegenwart sind Ästhetik und Stilistik der Musik Schrekers für einen deutschen bzw. österreichischen Komponisten heute relevant?
ON: Ich glaube und dies hat damit zu tun, daß Schrekers Musik noch immer selten zu hören ist und auch an der Musikuniversität während der Ausbildung kaum diskutiert wird, daß sowohl die Person als auch sein sehr eigenständiges Denken und seine eigenwillige Musik keine wirkliche Relevanz haben. Auch nicht, wenn es um Fragen eines zeitgemäßen Musiktheater geht. Man verdrängt ihn vielleicht auch deswegen aus dem Bewußtsein, weil, zumindest für mich, seine Themenwahl noch heute außergewöhnlich ist. Verdrängtes (auch in Bezug auf Sexualität) in der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen ist noch heute etwas sehr Gewagtes und nicht gerne Gesehenes.
LM: Wenn ich heute einem britischen Kollegen sage, daß Schreker mein Werk beeinflußt hat, würde er mir wahrscheinlich fassungslos gegenüber stehen. Wie, Ihrer Meinung nach, wirkt heute Schreker im allgemeinen in Deutschland und Österreich als musikalisches bzw. historisches Leitbild?
ON: Für mich ist er eine besondere Figur in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, aber deswegen auch marginalisiert, weil er zu keiner Gruppe gehörte. Man macht im sogenannten Musikbetrieb gerne Schubladen auf, da man sich nicht genauer und tiefer mit einem Menschen und seiner vielfältigen Kunst ausseinander setzen will. Schreker ließ sich aber in keine hineinzwängen! Er machte das, was ihn persönlich interessierte. Leider ist die Folge eigenständigen Denkens und Tuns, daß man als Narr an den Rand gedrängt wird.
LM: Sehen Sie in Schreker einen Modernen? Welche Aspekte einer Kompositionsweise sehen Sie insbesondere als bereits vorausgedacht an?
ON: Für mich persönlich war sein unorthodoxes Herangehen von Interesse. Es ist für mich die eigenartige Verzahnung von Text, Inhalt, Klang, Harmonie und einer Montagetechnik verschiedener Stile zu einem nur scheinbar homogenen Ganzen. Dazu brauchte es Mut und das gefällt mir.
LM: Eines der wichtigsten Resultate der heutigen Bemühungen, jene Komponisten zu rehabilitieren, die von den Nazis ausgegrenzt wurden, war die Wiederbelebung des Bewußtseins, daß es weit mehr im deutsch-österreichischen Musikleben des frühen 20. Jahrhunderts gab als die überragenden „Mount Rushmore“-Figuren wie Gustav Mahler und dann später die der Zweiten Wiener Schule. Sehen Sie Schreker als Ergänzung oder Gegensatz zu diesen Komponisten?
ON: Nein, für mich ist er ein Teil dieser Zeit, nur hatte er in dem Sinn keine Machtposition, war mehr ein "Eigenbrötler" - ich meine musikalisch. Die "Mount Rushmore"-Köpfe werden stets im Nachhinein aus dem Stein der Geschichte gehauen, weil der Mensch Götzen anbeten will, und dafür darf es nicht zu viele geben. Also wird ausgesiebt, auch in der Musikgeschichte. Man will nur die Kernfiguren zeigen, damit es zu keiner Verwirrung kommt. Alles nur brav, schön klar und einfach halten...
LM: Das Vertrautsein mit Schrekers Musik hat die Art und Weise, wie ich heute Musik der Zweiten Wiener Schule höre – Alban Berg insbesondere – stark beeinflußt. Hat für sie Schrekers Musik auch ein neues Licht auf diese Komponisten geworfen?
ON: Nein, er hatte für mich immer seine eigene Position. Aber dennoch glaube ich, daß sie sich alle gegenseitig beeinflußt haben. So ist das einfach, wenn man zur gleichen Zeit am gleichen Ort lebt und arbeitet und sich mit der Entwicklung einer bestimmten Kunstrichtung auseinandersetzt. So ist es heute auch.
LM: In den letzten Jahren ist in England wie auch sonst überall die Theorie der „historischen Unvermeidlichkeit“ zum größten Teil diskreditiert worden, obwohl sie noch bei manchen dogmatischen Hardlinern Bestand hat. Denken sie, daß die Schreker-Wiederbelebung (zusammen mit Zemlinsky, Korngold u.a.) einen Teilerfolg dieses eher offenen Zugangs darstellt?
ON: Nein, das glaube ich, ehrlich gesagt nicht. Man muß nur erkennen, in dem diese Komponisten endlich wieder öfter gespielt werden, daß all diese und viele mehr ganz wunderbare Komponisten waren und nicht die sogenannte "zweite Garnitur".
LM: Die Wiederbelebung der deutschen Musik in der Nachkriegszeit konzentrierte sich fast ausschließlich darauf, an die am weitesten entwickelte Musik der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Dies führte zu einer Polarisierung, die das Mittelfeld offen ließ. Hätte man der Generation Schrekers Kompositionsklasse (Krenek, Hába, Rathaus u.a.) gestattet in Deutschland zu bleiben, wäre dann die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert anders verlaufen?
ON: Die Folge des Denkens und Komponierens nach 1945 ist für mich logisch und absolut verständlich. Aber dennoch glaube ich, daß andere Schwerpunkte gesetzt worden wären, was die Vielfalt betrifft. Bei meiner Arbeit im Orpheus-Trust konnte ich sehen, wie viele Komponisten ihre "Stimme" gar nicht entfalten konnten, weil die Nazis ihre Karrieren und oft auch ihr Leben zerstörten. Meistens wurden nur die schon vor 1933 bekannten Komponisten nach 1945 wieder „ausgegraben“. Da es so viel Nachholbedarf durch die Verwüstung und Auslöschung gab, ist auf der Spurensuche vieles auf der Strecke geblieben.
LM: Meiner Meinung nach komponierte Schreker seine beste und typischste Musik dann, wenn auch ein besonderer Text ihn dazu anregte, sei es sein eigener (wie bei den Opern) oder der von anderen (Wie etwas Walt Whitman in Vom ewigen Leben). Jene Werke aber, die einem primär abstrakten musikalischen Impuls folgten – wie die Kammersymphonie und die Kleine Suite – wirken auf mich irgendwie weniger gelungen. Was meinen Sie?
ON: Ich bin zwar auch der Meinung daß die rein musikalischen Stücke nicht so konzise und überzeugend sind, aber jede/r Komponist/in hat seine/ihre eigenen Stärken und Schwächen. Das ist aber nichts Negatives.
LM: Die linearen, neo-klassizistischen Beiträge in Schrekers Werken der zwanziger und dreißiges Jahr wie etwa Der singende Teufel oder die Kleine Suite sind hauptsächlich als erfolglose Versuche eines älteren Komponisten bemängelt worden, sich dem Strom der Zeit anpassen zu wollen. Halten Sie diese Ansicht für berechtigt? Wie stehen Sie zum Spätwerk Schrekers?
ON: So ist eben die Kritik.... Strawinsky z.B. hat auch immer Unterschiedliches ausprobiert und wurde genauso dafür angegriffen. Das wirklich Schwierige ist, sich ein Leben lang mit der eigenen Kunst ausseinander zu setzten. Ein Gesamtwerk kann man nicht nur in Ausschnitten betrachten, das wäre viel zu einfach. Es ist noch immer besser ein Komponist zu sein, der bis zum Lebensende lebendig und offen bleibt im Geiste und sich neuen Herausforderungen stellt, als einer, der selbstzufrieden sich immer wieder in der gefundenen Sprache selbst bestätigt. Das Ausprobieren, das Verlassen des gefestigten Bodens und das Scheitern gehören genauso zum künstlerischen Prozess dazu. All das sind Handlungen gegen die Petrifizierung des eigenen Hirnes. Außerdem kann man nicht ständig Meisterwerke schreiben!
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Grenzgänger / Grenzklänge
Musik im Aufbruch
Eine Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien
Lloyd Moore im Gespräch mit Olga Neuwirth
LM: Wie sind Sie zum ersten Mal auf die Musik von Franz Schreker gekommen?
ON: Wie ich etwa 18 Jahre alt war, unterhielt ich mich mit meinem Onkel Gösta Neuwirth, der mir viel über Schreker und seine Musik erzählte. Ich bin dann zur Universal Edition gegangen, habe mir Partituren von Schreker ausgeliehen und mir die dazugehörigen Aufnahmen gekauft.
LM: Was war das Besondere an Schrekers Musik, das Sie interessierte?
ON: Darf ich das ganz ehrlich sagen? Der erste, vielleicht oberflächliche, Eindruck seiner Musik: der süffige, sinnliche Klang... und die Montagetechnik.
LM: Inwiefern glauben Sie – in Anbetracht des pluralistischen Klimas der Gegenwart sind Ästhetik und Stilistik der Musik Schrekers für einen deutschen bzw. österreichischen Komponisten heute relevant?
ON: Ich glaube und dies hat damit zu tun, daß Schrekers Musik noch immer selten zu hören ist und auch an der Musikuniversität während der Ausbildung kaum diskutiert wird, daß sowohl die Person als auch sein sehr eigenständiges Denken und seine eigenwillige Musik keine wirkliche Relevanz haben. Auch nicht, wenn es um Fragen eines zeitgemäßen Musiktheater geht. Man verdrängt ihn vielleicht auch deswegen aus dem Bewußtsein, weil, zumindest für mich, seine Themenwahl noch heute außergewöhnlich ist. Verdrängtes (auch in Bezug auf Sexualität) in der Gesellschaft auf die Bühne zu bringen ist noch heute etwas sehr Gewagtes und nicht gerne Gesehenes.
LM: Wenn ich heute einem britischen Kollegen sage, daß Schreker mein Werk beeinflußt hat, würde er mir wahrscheinlich fassungslos gegenüber stehen. Wie, Ihrer Meinung nach, wirkt heute Schreker im allgemeinen in Deutschland und Österreich als musikalisches bzw. historisches Leitbild?
ON: Für mich ist er eine besondere Figur in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts, aber deswegen auch marginalisiert, weil er zu keiner Gruppe gehörte. Man macht im sogenannten Musikbetrieb gerne Schubladen auf, da man sich nicht genauer und tiefer mit einem Menschen und seiner vielfältigen Kunst ausseinander setzen will. Schreker ließ sich aber in keine hineinzwängen! Er machte das, was ihn persönlich interessierte. Leider ist die Folge eigenständigen Denkens und Tuns, daß man als Narr an den Rand gedrängt wird.
LM: Sehen Sie in Schreker einen Modernen? Welche Aspekte einer Kompositionsweise sehen Sie insbesondere als bereits vorausgedacht an?
ON: Für mich persönlich war sein unorthodoxes Herangehen von Interesse. Es ist für mich die eigenartige Verzahnung von Text, Inhalt, Klang, Harmonie und einer Montagetechnik verschiedener Stile zu einem nur scheinbar homogenen Ganzen. Dazu brauchte es Mut und das gefällt mir.
LM: Eines der wichtigsten Resultate der heutigen Bemühungen, jene Komponisten zu rehabilitieren, die von den Nazis ausgegrenzt wurden, war die Wiederbelebung des Bewußtseins, daß es weit mehr im deutsch-österreichischen Musikleben des frühen 20. Jahrhunderts gab als die überragenden „Mount Rushmore“-Figuren wie Gustav Mahler und dann später die der Zweiten Wiener Schule. Sehen Sie Schreker als Ergänzung oder Gegensatz zu diesen Komponisten?
ON: Nein, für mich ist er ein Teil dieser Zeit, nur hatte er in dem Sinn keine Machtposition, war mehr ein "Eigenbrötler" - ich meine musikalisch. Die "Mount Rushmore"-Köpfe werden stets im Nachhinein aus dem Stein der Geschichte gehauen, weil der Mensch Götzen anbeten will, und dafür darf es nicht zu viele geben. Also wird ausgesiebt, auch in der Musikgeschichte. Man will nur die Kernfiguren zeigen, damit es zu keiner Verwirrung kommt. Alles nur brav, schön klar und einfach halten...
LM: Das Vertrautsein mit Schrekers Musik hat die Art und Weise, wie ich heute Musik der Zweiten Wiener Schule höre – Alban Berg insbesondere – stark beeinflußt. Hat für sie Schrekers Musik auch ein neues Licht auf diese Komponisten geworfen?
ON: Nein, er hatte für mich immer seine eigene Position. Aber dennoch glaube ich, daß sie sich alle gegenseitig beeinflußt haben. So ist das einfach, wenn man zur gleichen Zeit am gleichen Ort lebt und arbeitet und sich mit der Entwicklung einer bestimmten Kunstrichtung auseinandersetzt. So ist es heute auch.
LM: In den letzten Jahren ist in England wie auch sonst überall die Theorie der „historischen Unvermeidlichkeit“ zum größten Teil diskreditiert worden, obwohl sie noch bei manchen dogmatischen Hardlinern Bestand hat. Denken sie, daß die Schreker-Wiederbelebung (zusammen mit Zemlinsky, Korngold u.a.) einen Teilerfolg dieses eher offenen Zugangs darstellt?
ON: Nein, das glaube ich, ehrlich gesagt nicht. Man muß nur erkennen, in dem diese Komponisten endlich wieder öfter gespielt werden, daß all diese und viele mehr ganz wunderbare Komponisten waren und nicht die sogenannte "zweite Garnitur".
LM: Die Wiederbelebung der deutschen Musik in der Nachkriegszeit konzentrierte sich fast ausschließlich darauf, an die am weitesten entwickelte Musik der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Dies führte zu einer Polarisierung, die das Mittelfeld offen ließ. Hätte man der Generation Schrekers Kompositionsklasse (Krenek, Hába, Rathaus u.a.) gestattet in Deutschland zu bleiben, wäre dann die Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert anders verlaufen?
ON: Die Folge des Denkens und Komponierens nach 1945 ist für mich logisch und absolut verständlich. Aber dennoch glaube ich, daß andere Schwerpunkte gesetzt worden wären, was die Vielfalt betrifft. Bei meiner Arbeit im Orpheus-Trust konnte ich sehen, wie viele Komponisten ihre "Stimme" gar nicht entfalten konnten, weil die Nazis ihre Karrieren und oft auch ihr Leben zerstörten. Meistens wurden nur die schon vor 1933 bekannten Komponisten nach 1945 wieder „ausgegraben“. Da es so viel Nachholbedarf durch die Verwüstung und Auslöschung gab, ist auf der Spurensuche vieles auf der Strecke geblieben.
LM: Meiner Meinung nach komponierte Schreker seine beste und typischste Musik dann, wenn auch ein besonderer Text ihn dazu anregte, sei es sein eigener (wie bei den Opern) oder der von anderen (Wie etwas Walt Whitman in Vom ewigen Leben). Jene Werke aber, die einem primär abstrakten musikalischen Impuls folgten – wie die Kammersymphonie und die Kleine Suite – wirken auf mich irgendwie weniger gelungen. Was meinen Sie?
ON: Ich bin zwar auch der Meinung daß die rein musikalischen Stücke nicht so konzise und überzeugend sind, aber jede/r Komponist/in hat seine/ihre eigenen Stärken und Schwächen. Das ist aber nichts Negatives.
LM: Die linearen, neo-klassizistischen Beiträge in Schrekers Werken der zwanziger und dreißiges Jahr wie etwa Der singende Teufel oder die Kleine Suite sind hauptsächlich als erfolglose Versuche eines älteren Komponisten bemängelt worden, sich dem Strom der Zeit anpassen zu wollen. Halten Sie diese Ansicht für berechtigt? Wie stehen Sie zum Spätwerk Schrekers?
ON: So ist eben die Kritik.... Strawinsky z.B. hat auch immer Unterschiedliches ausprobiert und wurde genauso dafür angegriffen. Das wirklich Schwierige ist, sich ein Leben lang mit der eigenen Kunst ausseinander zu setzten. Ein Gesamtwerk kann man nicht nur in Ausschnitten betrachten, das wäre viel zu einfach. Es ist noch immer besser ein Komponist zu sein, der bis zum Lebensende lebendig und offen bleibt im Geiste und sich neuen Herausforderungen stellt, als einer, der selbstzufrieden sich immer wieder in der gefundenen Sprache selbst bestätigt. Das Ausprobieren, das Verlassen des gefestigten Bodens und das Scheitern gehören genauso zum künstlerischen Prozess dazu. All das sind Handlungen gegen die Petrifizierung des eigenen Hirnes. Außerdem kann man nicht ständig Meisterwerke schreiben!
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